Die Darlington Road Kids
Band 5
Der Tobende Buddha
Der Chinese
Terrence wischte den Boden zu ende und nickte zu frieden. Er war schon eine Weile auf den Beinen, hatte die Küche, das Büro und die Gänge gefegt und gewischt und nun den Schankraum. Aus der Küche drangen leise Stimmen. Jo, Rosie und Friederich beseitigten die letzten Reste vom Vorabend und bereiteten das Frühstück vor. Sie hatten bis tief in die Nacht in der Küche gearbeitet um den Hunger ihrer Gäste und der von Fulton zu befriedigen. Irgendwann war Little Bill gekommen, im Schlepptau den unglücklichen Fulton mit allen Vorräten die er aus seiner Küche hatte retten können. Zum Glück hatte das Feuer nicht auf das Haus übergegriffen, so das der Sachschaden sich in Grenzen hielt. Dennoch hatte Terrence aus einigen Bemerkungen geschlossen das Fulton das Geschäft aufgeben würde, er konnte sich die Renovierung der Küche nicht leisten. Und war höchst dankbar das ihm Bill die Vorräte für etwas über dem normalen Einkaufspreis abgekauft hatte.
Und Bill hatte sehr nachdenklich ausgesehen.
Jemand hämmerte gegen die Eingangstür des Farnsworth Inn das man es im ganzen Gebäude hören konnte. Das klang sehr fordernd, dringlich. Terrence runzelte die Stirn, stellte den Schrubber ab und ging in Richtung Tür. Die Geräusche aus der Küche verklangen. Auf halben Weg nahm Terrence ein Bewegung zu seiner rechten wahr. Bill stand dort im Gang. Er nickte ihm zu.
Terrene blieb an der Tür stehen.
„Öffnet! Im Namen des Königs!“
Harte Schläge gegen die Tür. Terrence öffnete die kleine Klappe in der Tür und sprang erschrocken ein wenig zurück. Direkt vor der Tür stand Constabler Whimsy und er schien keine gute Laune zu haben.
„Herrgott, Kerl. Hör auf zu Zappeln“, schrie er jemanden an den Terrence nicht sehen konnte.
„Was wollen Sie, Mr. Whimsy? Er ist sehr früh am Morgen und wir haben noch nicht geöffnet.“
„Ich will auch nichts trinken, Bengel. Ich will Mr. Farnsworth sprechen. – Ich brauche seine Hilfe.“
„Lass ihn rein“, befahl Little Bill.
Whimsy entdeckte Little Bill am Tresen und marschierte auf ihn zu, dabei einen kleinen, zierlichen Mann mit sich zerrend, der heftig in einer fremden Sprache gegen diese Behandlung protestierte.
„Was gibt es denn, Constabler?“ fragte Bill und musterte Whimsys Begleiter neugierig.
„Dieser Mann … ich war auf dem Heimweg, als er mir auffiel. Er lief auf der Straße herum, fuchtelte mit den Armen, war sehr aufgeregt. Und er spricht leider eine Sprache die ich nicht verstehe.“
„Ah so“, machte Bill. Terrence kam neugierig näher, am anderen Ende des Tresens waren Jo, Rosie und Friederich erschienen.
„Irgendwas passiert?“ dröhnte die Stimme von Klaas die Treppe hinab.
„Nichts, alles in Ordnung. Geht wieder schlafen“, antwortete Bill. Er wandte sich an Whimsy. „Und wie kommen Sie darauf, das ich ihn verstehen könnte?“
„Ein oder zwei Wörter hörten sich an wie portugiesisch, etwas anderes klang wie Latein.“
„Also Latein spreche ich nicht wirklich“, stellte Bill fest. „Und mein portugiesisch ist kaum der Rede wert. Aber vielleicht kann ich mich mit dem Mann verständigen.“
Er sah den Fremden an.
„Nǐ jiào shénme míngzi?“
Der Mann starrte ihn verblüfft an, stellte den Versuch sich von Whimsys Griff zu befreien ein. Und antwortete sehr schnell.
„Wǒ de míngzì shì Bao Wu.“ Das war alles was die anderen verstanden, der Rest kam so rapide das sie nicht mehr folgen konnten.
Bill hob abwehrend die Hände.
„Màn man shuō.“
Der andere Mann starrte ihn einen Augenblick an, dann lächelte er, verbeugte sich ein wenig.
„Lassen Sie ihn los“, befahl Little Bill und der Constabler gehorchte.
Der Mann wiederholte was er gesagt hatte, diesmal aber langsam, sorgfältig betonend und mit großen Pausen. Little Bill lauschte aufmerksam, nickte hin und wieder.
„Sein Name ist Bao Wu, er stammt aus Macao – das ist eine Stadt in China. Er ist Kaufmann. Tee, Seide, Kunsthandwerk. Jemand ist bei ihm eingebrochen und hat 10 Pfund Tee gestohlen. Außerdem eine kostbare Statue. Darüber hat er sich sehr aufgeregt, es ist ein Erbstück. Er bittet um Entschuldigung, wenn er Ungelegenheiten bereitet hat.“
Whimsy schüttelte den Kopf.
„Sie verstehen den Mann?“
„Mit Schwierigkeiten. Chinesisch ist sehr kompliziert für uns Europäer. Und ich habe diese Sprache lange nicht benutzt.“
„Aber immerhin … Fragen Sie ihn ob er Anzeige erstatten will. Ich bin Polizist und werde versuchen ihm zu helfen.“
Bill übersetzte. Bao Wu legte die Stirn in Falten, musterte Whimsy eingehend. Schließlich wandte er sich wieder an Bill, sich mehrfach leicht verbeugend.
„Hat der den Veitstanz?“ fragte Friederich leise, verwundert über das Benehmen des Mannes.
„Das ist, glaube ich, Sitte in China, durch ständiges Verbeugen seine Ehrerbietung zu bezeugen. Eine Formalie“, erklärte Jo leise. „Hilfreich wenn man etwas unhöfliches sagt. Ich glaube …“
Jo verstummte als ein böser Blick ihres Vaters sie traf.
Bao Wu war am Ende seiner kleinen Rede und Bill holte tief Luft.
„Der Ehrenwerte Bao Wu bittet ihn nicht misszuverstehen, aber er fragt wie diese Hilfe aussehen soll und was er dafür bezahlen muss. Und welche Erfahrungen Sie bei der Ermittlungen in solchen Angelegenheiten haben, Sie kommen ihm sehr jung vor.“
Whimsy lief leicht rot an. Obwohl durchaus höflich formuliert ahnte er die Beleidigung, vor allem weil Bill sich wesentlich kürzer fasste als der Chinese.
„Ich bin ein Bow Street Runner, schon seit zwei Jahren und habe schon eine ganze Reihe von Einbrüchen und Diebstählen aufgeklärt. Und ich bin eine Amtsperson, mich bezahlt der König für meine Arbeit. Ich bekomme von den Opfern kein Geld. Und ich würde es auch niemals annehmen. Das verbietet mir die Ehre. Übersetzen Sie das, bitte, Mr. Farnsworth.“
Bill tat ihm den Gefallen.
Jo, Rosie und Friederich zogen sich in die Küche zurück, dieses Gespräch würde länger dauern und da sie nur die Hälfte verstanden wurde es langweilig für sie. Terrence blieb und lauschte fasziniert der fremden Sprache, die einen eigenartigen Sing-Sang benutzte. Terrence hatte den Eindruck das ein Wort je nach Betonung eine unterschiedliche Bedeutung hatte.
Der Chinese hörte zu und antwortete langsam.
„Er entschuldigt sich, wenn er sie beleidigt haben sollte. In seiner Heimat ist es üblich die Polizei für diese Art von Diensten zu bezahlen, um sicherzustellen das sie ihre Arbeit tut. Es wird erwartet, das der Anzeigende dem Polizisten in Geld oder Ware, nun ja, für seine Mühe im Voraus entlohnt. – Ich glaube, die chinesischen Polizisten werden nur schlecht oder gar nicht bezahlt.“
Whimsy runzelte die Stirn.
„Nicht das wir hier gut bezahlt werden“, sagte er leise. „Aber das wissen Sie ja, Mr. Farnsworth. Der Gentleman wünscht also meine Hilfe nicht?“
„Zur Zeit nicht. – Ich glaube, er will auf eigene Faust nach seinem Eigentum suchen.“
„Dann kann ich ihm nur viel Glück wünschen.“
Der Constabler gähnte heftig.
„Entschuldigung, allerhöchste Zeit für mich. Ich habe die ganze nächste Woche die Nachtschicht.“
„Dann wünsche ich gute Nacht“, lächelte Little Bill. „Lässt du den Constabler bitte hinaus, Terry? Und verriegele die Tür wieder ordentlich. Dann komme in die Küche.“
„Ja, Boss.“
Als Terrence in die Küche kam war alles ordentlich aufgeräumt, der Abwasch erledigt. Bao Wu saß am Tisch, lächelte und beobachtete. Jo und Little Bill waren am Herd, sie bereitete das Frühstück vor, er kochte Kaffee und Tee. Friederich und Rosie waren an den Tisch verbannt worden.
Terrence setzte sich gegenüber dem Chinesen der gleich seine ganze Aufmerksamkeit auf ihn richtete. Terrence lächelte freundlich, auch wenn er sich irritiert fühlte.
Little Bill fragte Bao Wu etwas und der antwortete nach kurzem Zögern. Terrence konnte sehen wie die Mundwinkel seines Herren für einen Augenblick nach oben gingen, etwas an der Antwort hatte ihn sehr amüsiert.
„Mach noch eine Portion Rühreier mit Speck und Zwiebeln, Tochter. Und röste noch etwas Weißbrot.“
Jo hob die Brauen führte den Befehl aber ohne weiteres aus während ihr Vater die Kannen mit frisch gebrühten Tee auf den Tisch stellte und gleich darauf die Tassen folgen ließ. Terrence schnupperte. Bill hatte zwei unterschiedliche Tees zu bereitet. Eine Kanne hatte er vor Friederich und Rosie deponiert, die anderen zwischen ihm Bao Wu – und diese Sorte kannte er nicht. Der Chinese hob die Augenbrauen, er wirkte erstaunt und erfreut. Bill stellte Zucker und Milch auf den Tisch, eine Kaffeekanne für sich und seine Tochter.
„Frühstück kommt gleich. – Wartet nicht auf uns.“
Ehe Terrence reagieren konnte hatte sich der Chinese die Teekanne genommen und Terrence und seine Tasse gefüllt. Bao Wu nahm seine Tasse in beide Hände, hob sie an, schnupperte, nickte Terrence zu und dieser ahmte ihn nach. Der Chinese neigte kurz den Kopf, schloss die Augen und seine Lippen formten lautlose Worte ehe er den Tee in kleinen Schlucken trank. Terrence folgte seinem Beispiel und war erstaunt über den Geschmack.
Jo setzte Terry und den beiden anderen eine Schale Porridge vor, stellte den Honig dazu und dem Chinesen servierte sie eine große Portion Rührei mit Speck und Zwiebeln.
„Guten Appetit, Mr. Bao Wu“, lächelte sie. Der Mann erwiderte das Lächeln, nickte und griff ganz selbstverständlich nach der Gabel.
Bill setzte sich an seinen Platz, Jo tat das gleiche und gemeinsam leerten sie die große Pfanne mit Rühreiern, Speck, Zwiebeln und Knoblauch auf ihre Teller.
„Bao Wu heißt übrigens soviel wie ehrenwerter Kaufmann“, erläuterte Bill. „Wobei dieser Bao Wu hier obendrein ein ausgemachtes Schlitzohr ist. – Wie lange haben Sie für die HEIC gearbeitet, ehrenwerter Herr?“
Der Chinese hatte Mühe den Bissen hinabzuwürgen, so sehr überraschte ihn die Frage Bills.
Die anderen am Tisch hielten erstaunt inne.
„Wo … wie haben Sie es gemerkt, ehrenwerter Gastwirt?“
Bao Wu sprach englisch, wenn auch mit Akzent und deutlich schottischer Einfärbung.
Bill feixte.
„Ich war Ohrenzeuge als Sie vor einigen Tagen mit Mr. Christian über die Miete verhandelten. Ihr Vermieter ist ja leider ziemlich schwerhörig.“
„Ja, sehr“, lächelte Bao Wu. „Ich hatte zwei Tage Halsschmerzen. Warum haben Sie dem Constabler nichts verraten?“
„Er hat Sie ziemlich grob behandelt. Ich fand eine kleine Rache war angebracht. Außerdem … Sie sind der erste Chinese der Rührei mit Speck zum Frühstück isst, den ich kennenlerne.“
Bao Wu hob die Schultern.
„Wir Chinesen essen fast alles – das ist kein Maßstab. Diese Rühreier sind übrigens vorzüglich, ehrenwerte Tochter des Gastwirtes.“
„Mein Name ist Josephine“, lächelte Jo, erfreut über das Lob ihrer Kochkünste.
„Jo seph ine“, wiederholte der Mann. „Ein schöner Name.“
„Warum haben Sie Whimsy nicht verraten das Sie unsere Sprache beherrschen?“
„Ich war wütend, aufgebracht. Man hat mich bestohlen. Und dann kommt dieser Gweilo und belästigt mich mit dummen Fragen.“
„Gweilo? Verzeihung, das Wort kenne ich nicht.“
Bao Wu senkte den Kopf.
„Verzeihung, es bedeutet soviel wie Geistermensch oder bleiche, geisterhafte Person. Ich muss mich entschuldigen.“
„Überhaupt nicht“, grinste Bill. „Wir in England sind ja schließlich alle etwas blass. Einige mehr als andere. Und ich lerne gerne dazu. Gweilo. Das muss ich mir merken. Ist fast so gut wie Banshee.“
Er sah seine Tochter an.
„Ich bin weder ein Geist noch eine Todesfee“, murrte Jo.
„Kommt darauf an wie du dich gerade aufführst. – Ist der Tee gut? Ich habe ihn vor einigen Wochen gekauft und war mir nicht sicher … ich habe dafür keine Zunge.“
„Er ist sehr gut“, erklärte der Chinese. „Fast so gut wie meiner.“
„Hm, vielleicht sollte ich meinen Tee dann in Zukunft bei Ihnen erwerben?“
„Vielleicht.“
„Bevor wir in ernsthafte Verhandlungen eintreten möchte ich aber die Qualität prüfen. Mein junger Angestellter hier ist ein großer Freund von Tee, er wird also eine Verköstigung durchführen.“
Bill deutete auf Terrence.
„Er ist jung“, sagte Bao Wu.
„Das ist richtig. Aber Jugend bedeutet nicht unfähig zu sein und keine Erfahrung zu haben. Dieser junge Mann ist sehr erfahren, in vielen Dingen. Er könnte Ihnen auch helfen ihre Statue wieder zu erlangen und den Dieb angemessen zu bestrafen.“
„An einer Bestrafung bin ich nicht interessiert. Aber meine Statue würde ich gerne zurückhaben. Sie bieten mir den jungen Mann als Führer an?“
„Als … Yánjiū zhě.“
Bao Wu war überrascht.
„Er ist aber noch jünger als der andere Mann, der behauptet hat ein Polizist zu sein und es für eine Beleidigung hielt als ich ihm eine Belohnung anbot. Verzeihung, aber ich glaube nicht das er gut ermitteln kann.“
„Ja, er ist jünger. Und er ist kein Polizist. Er ist ein Xiaotou.“
Der Mann musterte Terrence genauer.
„Es mag sein das er ein Dieb ist, aber er ist zu jung. Es wird ihm an Erfahrung mangeln.“
Terrence lächelte ihn an.
„Ehrenwerter Kaufmann, man sollte die Ware nicht nach dem ersten Augenschein beurteilen. Und auch ein unansehnliches Messer hat eine tödliche Klinge.“
Er griff nach der linken Hand des Mannes und dieser staunte über den kräftige Griff.
„Es ist wahr, ich bin jung, aber ich habe Erfahrung. Und in diesem Land werden Diebe nicht sehr alt. Einbruch war mein halbes Leben mein Geschäft und ich kenne jeden in der Stadt der mit gestohlenen Dingen handelt.“
Bao Wu löste seine Hand aus dem Griff.
„Ohne die dich beleidigen zu wollen, junger Mann, aber ich kenne dich nicht. Wer außer deinem Herren bürgt für dich?“
„Niemand – nur meine Handlungen.“
Terrence öffnete die rechte Hand. Auf dem Handteller lag ein kleiner goldener Ring.
Bao Wu nahm das Schmuckstück an sich, das zuvor an seinem kleinen Finger gesteckt hatte.
„Ich glaube, du sprichst die Wahrheit. Ich akzeptiere das Angebot des ehrenwerten Wirtes dich als meinen Führer zu nehmen.“
„Nicht Führer“, warf Bill ein. „Er wird ermitteln und die Statue zurückbringen. Sie bleiben zu hause, denn er wird an Ort gehen müssen an denen Sie, ehrenwerter Kaufmann, auffallen werden. Und er wird eine genaue Beschreibung oder besser noch eine Zeichnung der Statue brauchen.“
Der Chinese dachte einen Augenblick lang nach.
„Ich bin einverstanden. Wenn der Junge Erfolg hat, werde ich Ihnen einen guten Preis für den Tee machen.“
„Gut.“
Bill und der Mann reichten sich die Hände.